Ein Festspiel aus Klang und Anmut: derwesten.de 26.02.2012
Szene aus dem neuen Hagener Ballettabend „Bach tanzt“. Foto: KühleFoto:
„Bach tanzt“ ist der neue Ballettabend von Ricardo Fernando ebenso schlicht wie programmatisch überschrieben. Bei seiner Premiere am Samstag im Theater Hagen wurde er vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen.
Ist es nun eher die Musik zum Tanz oder doch der Tanz zur Musik, der im Mittelpunkt steht? An diesem außergewöhnlichen Kunstabend geht die Entscheidung unentschieden aus: Hervorragende Instrumental-Solisten konkurrieren nicht, sondern korrespondieren mit einem abermals bestechend guten Hagener Tanz-Ensemble unter seinem Leiter und Chefchoreografen Ricardo Fernando.
Der Ballett-Meister hat sich akustisch für Johann Sebastian Bach entschieden und lässt die Töne in einer Mischung aus klassischen Figuren und modernen Bewegungen vertanzen.
Eine üppige Hommage
Die großartige Pianistin Ana-Maria Dafova begleitet vor der Bühne am Flügel eine Folge von Tanzminiaturen nach den berühmten Goldberg-Variationen. Die bulgarische Künstlerin spielt betörend, und die Ballett-Truppe schmiegt sich förmlich in die Komposition. Für eine gute halbe Stunde entfaltet sich eine kongeniale Symbiose aus Klang und visueller Umsetzung; eine überaus üppige Bach-Hommage ohne jede historisierende Unterfütterung oder Anbiederung. Die Choreografie bleibt stets zeitgemäß und verweist dennoch deutlich auf die klassische Tanz-Tradition.
Ungewöhnlich geht es nach der ersten Pause weiter: Matias de Oliveira thront förmlich im hinteren Bühnenteil auf einem Podest und spielt Sätze aus Bachs Cello-Suite 5 und 2. Jetzt haben die Tänzerinnen Pause und die rein männliche Besetzung stellt sich quasi immer wieder selbst auf den Sockel der Darstellung. Es lebendige, geschmeidige Denkmäler, die bald auf, bald neben und bald hinter ihren würfelartigen Klötzen dem fordernden Cello-Spiel eine dreidimensionale Tiefe ausloten. Kraft, Dynamik und Kondition werden in die Waagschale der Interpretation geworfen, die dabei im halbdunklen Dämmerlicht geradezu antik-mystische Züge zu gewinnen scheint.
Im dritten und letzten Teil des anspruchsvollen Bach-Balletts hat erst einmal die Violinistin Mayu Kishima ihren großen Auftritt. Im Pas de deux tanzen dazu Lara Lioi und Huy TienTran eine dramatische Liebes- und Beziehungsgeschichte zwischen Nähe und Verlust, Begehren und Verweigern, Euphorie und Verzweiflung. Was ist mehr zu bewundern? Das virtuose Geigenspiel oder die traumhaft-alptraumartige Tanz-Begegnung des Paares? Abermals ist es die faszinierende Einheit der Künstler, die Bachs Vorgaben so ungemein lebendig und berührend machen.
Gewagt und gewonnen
Mit einer Triosonate und dem „Ricercare“ aus dem „Musikalischen Opfer“ schließt das denkwürdige Bach-Experiment mit fulminanter Klang- und Tanzkraft aller Beteiligten. Eigens hat Ballettrepetitor Michael Albert eine Fassung für Klavier, Cello und Violine erarbeitet, die die drei wundervollen Solisten zusammen führt und sie in ebenbürtiger Weise einbindet. Noch einmal schickt sich die Compagnie an, die Bach-Musik als bühnentaugliches Erlebnis zu begreifen. Ricardo Fernando verzichtet auf jede Überzeichnung und stellt die Choreografie ganz in den Dienst der akustischen Wirkung. Die Truppe bleibt entsprechend präzise. Mehr klassisch als akrobatisch sind ihre Vorgaben, denen sie sich verpflichtet wissen.
„Bach tanzt“ ist ein etwas anderer Ballett-Abend am Theater Hagen. Er wagt und gewinnt den Spagat zwischen musikalischer und tänzerischer Vergangenheit und doch zeitgenössisch anmutender Interpretation.
Die nächsten Vorstellungen am 1. (Theatertag), 3., 7., 11. (18 Uhr), 16., 25. (15 Uhr) und 31. März. Im Rahmen des Theatertages am 1. März gibt es ein begrenztes Kartenkontingent zum Einheitspreis von 8,50/6,50 Euro, allerdings ausschließlich an der Theaterkasse. Der übliche Kartenservice unter Tel. 02331 / 207-3218 oder www.theater.hagen.de
Andreas Thiemann, derwesten.de 26.02.2012